Eine Überraschung

Eine Überraschung

von Dolfi Triller

Es sollte alles ganz normal verlaufen: Erst mit der Seilbahn zum Osterfelderkopf, dann nicht zu Ferrata oder Nordwandsteig – nein, Eli und ich folgtem dem breitem Fahrweg abwärts in Richtung Bernadeinwand … Der folgende Aufstieg zum alten Klettersteig der Schöngäng war zunächst ziemlich schottrig bis endlich die ersten Felsen kamen. Erst sehr spärlich versichert, leitete schließlich ein langes Drahtseil auf das breite, nahezu horizontale Schuttband vor dem abschließenden Steilaufstieg – später von Eli als „ein dunkles Loch“ geschmäht. Vor dieser Stelle macht der Anstieg so etwas Ähnliches wie eine Haarnadelkurve, er wechselt unerwartet und ziemlich radikal seine Richtung. Das war die Stelle, wo Reiner und mich vor einigen Jahren nach den Plagen des Jubiläumsgrates beim Abstieg die Nacht „überraschte“. Na ja, direkt überrascht waren wir nicht, aber man sagt halt so. Wir gingen zunächst in die falsche Richtung und es dauerte eine ganze Weile, bis wir mit den Stirnlampen den richtigen Weiterweg fanden.

Heute war der Himmel zwar grau, aber es war trotzdem heller Tag und ein erneutes Verlaufen an dieser Stelle völlig ausgeschlossen. Relativ schnell und problemlos – dank der „psychischen Hilfe“ des lückenlosen Drahtseils – erreichten wir die kleine Scharte neben dem Bernadein­kopf. Nach kurzem Gipfelbesuch ging‘s auf schmalem Steig hinunter zum Stuibensee, wo der „offizielle“ Wanderweg in Richtung Bernadeinsteig leitet. Wir hatten diesen Abstieg aber in schlechter Erinnerung, steil und schuttig waren einige Abschnitte. Doch es gab ja noch eine andere Möglichkeit: Vom Grießkar herunter verläuft ein spärlicher Steig parallel zum zentralen Grat zwischen Hochblassen und Mauerscharte hinunter ins Gassental vor der Stuibenwand. Die Problematik dieses „Weges“ verschweigt „des Sängers Höflichkeit“ und wir sind schon auf den Steigspuren in Richtung Bernadeinsteig. Auf einer hier ungewohnten, plötzlichen Verflachung bleiben wir stehen. Ich drehe mich um – und sehe unmittelbar hinter mir eine große, dunkle Öffnung in einer kleinen Felswand.

Ein alter Bergwerksstollen, in dem vor über zweihundert Jahren nach silberhaltigem Bleierz gegraben wurde. So weit so gut. Lampen haben wir keine, also vorsichtig tastend über platschende Pfützen hinein in einen mannshohen, horizontalen Gang. Nach gut zehn Metern glaube ich den hellen Fels einer Rückwand zu erkennen. Bald zeichnet sich dort in Bodennähe eine schwarze Öffnung ab, gerade noch „schliefbar“ würde ein Höhlengeher sagen. In diese schwarze Öffnung ragt etwas helles. Vielleicht ein Felsvorsprung? Ein, zwei Schritte weiter und aus schwarzem Tuch starrt mir ein menschliches Gesicht mit einer Knochenhand entgegen! Erst bin ich kurz entzetzt, dann kehrt die Vernunft zurück. Eine Maske hatte mich grob getäuscht. Mit einem Foto dieser „verrückten“ Installation ging ich zurück zum Eingang und bald darauf, nach mühsamer Durchquerung einer Kuh-Stampf-Matsch-Wiese erreichten wir erleichtert den Bernadeinsteig in Richtung Kreuzeck.