Einer dieser Tage

Wieder einer dieser Tage, die ich so liebe

Wieder einer dieser Tage, die ich so liebe

von Dieter Schmid

Ähnlich, wie in den letzten Tagen schlängelt sich ein grün umwucherter Pfad hinauf ins nächste Bergdorf. Heute haben wir uns für eine Variante auf dem GTA (Grande Traversata delle Alpi) im südlichen Piemont entschieden. Die Sonne am späten Nachmittag meint es gut mit den zwei Freunden der Berge. Wir stehen vor rustikalen Mauern. „Benvenuti a Celle di Macra“.

Abermals zeigt sich ein absolut typisches Bergdorf und ebenso charakteristisch liegt neben der Kirche die Locanda. Diese nennt sich vielversprechend: „Borgata-Chiesa-Ristorante-Camere-Bar“. Der Rucksack gleitet herab. Erst mal einen strengen Kaffee: „Cafè Dobbio“ mit Kekskuchen „La-Torta“ an der Bar. Das knackige Hartkuchenstück muss noch von den Römern stammen! Deshalb sind wir hier richtig, irgendwie erscheint mir alles stimmig. Dann ein kurzer Rundgang zur Orientierung um die Häuser und ein stiller Besuch in der gepflegten Kirche und am Friedhof. Die überaus eifrigen „Due Signore“ zeigen uns ein Balkonzimmer, makellos und ansprechend. Behaglich duschen und bequem ausruhen auf dem kleinen Balkon ist dann auch nicht schlecht.

Soweit das Auge reicht: Grün, Grün, Grün. In der Ferne, ungefähr gegen Westen, inmitten den bewaldeten Hängen, erkenne ich ein paar helle Bausteinchen. Es ist Palent, unser morgendlicher Startpunkt. Langsam füllt sich unten der stilvoll gepflasterte Platz. Die Dorfbewohner treffen sich zum Feierabend. Dabei wird’s laut. Das Palaver der Erwachsenen schaukelt sich hoch. Kinder jagen eine Katze, das Tier wimmert. Ein paar Mopeds knattern heran, irgendein Hund jault.

Einer dieser Tage

Plötzlich übertönt dies alles ein gellender Schrei! Die elegant gekleidete Dame zieht verzweifelt mit beiden Händen an der roten Leine. Und das andere Ende – oh! Der gut hüfthohe Kampfhund hält ein flauschiges Etwas sabbernd quer im Maul. Dieser Fang scheint fraglos zu seinem Beuteschema zu passen. Beim gemeinsamen Befreiungsversuch durch den Hundebesitzer, unterstützt von der halben Dorfgemeinschaft, erreicht der Spektakel theatrale Reife. Von wegen ausruhen!

Gespannt beobachte ich die Aufführung aus der ersten Reihe der Loge. Ein kunterbuntes temperamentvolles Durcheinander, chaotisches Gebrüll, jämmerliches Gestöhne, Geknurre und Gejaule und bald ist die Beute entrissen … Außer mir gibt es noch einen stillen Beobachter. Ein betagter Greis sitzt etwas abseits am Tisch in stoischer Ruhe, wie eine Skulptur aus Stein. Nur der Griff nach seinem Glas Rotwein verrät ihn als passiven Teilnehmer der lebhaften Szenerie. Bestimmt verweilt er täglich um diese Zeit an exakt derselben Stelle. Ein gelassenes Schmunzeln streift jetzt sanft über sein wettergegerbtes Gesicht.

Glückstrahlend, aber noch sichtlich aufgeregt kann die Dame ihren zerrupften Liebling wieder in ihren Armen halten. Völlig unverletzt, aber rotzfrech kläfft der Chihuahua in Richtung gebändigter Kampfhund. Heute hat er nur geübt, da bin ich mir sicher! Das Kuriosum des Tages!

Die rote Scheibe berührt jetzt die Silhouetten der Berge. Pasta, formaggio und vino rosso warten auf uns. Wieder einer dieser Tage, die ich so liebe. Juli 2016.